EU-Sanktionen gegen Syrien: Regime Change in Damaskus bleibt Ziel – Experten

Mit einem „eingefrorenen Konflikt“ in und um Syrien ohne kurzfristige dauerhafte Lösung rechnet der Wiener Nahost-Experte Fritz Edlinger. Er kritisiert die Politik der Europäischen Union deutlich. Diese zeigt, dass am Ziel, Präsident Assad zu stürzen, festgehalten wird, sagt der Politologe Werner Ruf. Beide sind für eine stärkere Rolle der Uno.

Die Europäische Union (EU) sei „zweifellos für die gegenwärtige humanitäre Katastrophe in Syrien auf jeden Fall mitverantwortlich“. So kommentierte der Wiener Nahost-Experte Fritz Edlinger den Beschluss des EU-Ministerrates vom 29. Mai, die Sanktionen gegen Syrien um ein Jahr zu verlängern und zu erweitern. Diese Entscheidung entspreche der Linie der EU, so lange Restriktionen gegen das Regime und deren Unterstützer aufrechtzuerhalten, solange die Repression gegen Zivilisten weitergehe, wurde das in Brüssel begründet. Diese Politik bezeichnete Edlinger, der Generalsekretär der Gesellschaft für Österreich-Arabische Beziehungen (GÖAB) ist, als „kurzsichtig und falsch“.

Für ihn haben die europäischen Regierungen „einfach die Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahre versäumt“. In den EU-Hauptstädten werde immer noch davon ausgegangen, dass eine Lösung der „syrischen Frage“ einen Sturz des Präsidenten Bashar al Assad voraussetze. Der Experte sprach von einem „fundamentalen Missverständnis“ der EU-Politik bezüglich der Ereignisse in Syrien in den letzten sechs Jahren.

„Konnte man 2011/12 noch Verständnis für die Ansicht haben, dass es – wie in Tunesien und Ägypten – um Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit ging, so hat sich doch bald herausgestellt, dass es – zumindest für einen beträchtlichen Teil der Akteure – um völlig andere  Ziele ging, nämlich um einen radikalen ‚Regime Change‘.“

Längst handele es sich bei dem Krieg um einen regionalen Stellvertreterkonflikt.

Russischer Einfluss soll mit eingedämmt werden

Das sieht auch Werner Ruf, Politikwissenschaftler und Nahost-Experte aus Deutschland, so. Für ihn sind die europäischen Sanktionen gegen Syrien „ein deutlicher Hinweis darauf, dass man nach wie vor an dem Ziel festhält, Assad auszugrenzen“, wie er auf Nachfrage erklärte. Das geschehe nicht wegen der angeblichen Menschenrechtsverletzungen, „sondern um das alte Ziel zu verfolgen, die ‚schiitische Achse‘ zu brechen, die man in der Verbindung Iran – Assad – Hizbullah sieht“. Ruf fügte hinzu: „Damit bleibt das Ziel auch die Eindämmung des russischen Einflusses in der Region.“

Kurz bevor die EU beschloss, die Sanktionen fortzusetzen, erklärten ungeachtet dessen UN-Vermittler Staffan de Mistura und Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), am 27. Mai beim Kirchentag in Berlin, es gehe darum, den Menschen in Syrien zu helfen. Gleichzeitig verloren beide kein Wort über die westlichen Sanktionen, die nicht nur der syrischen Zivilbevölkerung schaden, sondern sogar humanitäre Hilfe verhindern. Dafür waren sich de Mistura und Perthes sicher, dass die EU beim Wiederaufbau helfen werde, wenn der Krieg in Syrien zu Ende ist.

Der SWP-Direktor unterstützt die Arbeit des UN-Vermittlers als Leiter einer Arbeitsgruppe zu militärischen Fragen. Er verwies als Grundlage für den möglichen Wiederaufbau auf das 2012 vorgestellte Projekt „Day After“, das damals für die Phase nach dem vom Westen und arabischen Staaten erhofften Regimechange in Damaskus vorbereitet wurde.

Nahostexperte Edlinger meinte, dass Mistura sich um eine vertretbare politische Lösung bemühe, um so auch den Menschen in Syrien zu helfen. Perthes und die die SWP finanzierende Bundesregierung seien dagegen „Teil jener Akteure, welche eindeutig auf ‚Regime Change‘ hinarbeiten“. Der Großteil des Projekts „Day After“ und der Mittel dafür sei von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gekommen, die für Edlinger „eine eindeutige Kriegspartei“ sind.

„Es sollte sich inzwischen zumindest in Europa herumgesprochen haben, dass diese Politik kaum eine vertretbare politische Lösung des Konfliktes in Syrien und darüber hinaus verspricht.“

Deutscher Einfluss soll gesichert werden

„Sicher wird sich die EU am Wiederaufbau beteiligen“, meinte Politikwissenschaftler Ruf dazu, „denn genau das sichert Einfluss“.

„Wenn Volker Perthes auf das Projekt von 2012 verweist, dann zeigt dies deutlich, dass man noch immer hofft, die Zielen der Saudis, der Golfstaaten und anderer zu unterstützen, um diese Bündnispartner zu bedienen und den Einfluss deutscher Politik zu festigen.“

Der Experte hält es für wichtiger, „den Iran konstruktiv einzubinden“, der aber bisher konsequent ausgegrenzt werde. Für die EU sei die geopolitische Lage Syriens „von besonderer Wichtigkeit“. Es gehe auch um die Rolle der Türkei, des Iran und der Saudis. „Für die EU – und vor allem ihre Führungsmacht Deutschland – ist es wichtig, im Spiel bleiben und ihren Einfluss sichern“, unterstrich Ruf und fügte hinzu, „dass gerade die SWP hier eine zentrale Rolle zu spielen versucht, ist Indiz genug“.

GÖAB-Generalsekretär Edlinger sieht wie de Mistura und Perthes für die UNO „eine ganz wesentliche Rolle bei einer politischen Lösung“. „Aber ganz ohne die unmittelbaren Konfliktparteien wird es nicht gehen“, ergänzte er und nahm dabei ausdrücklich den Islamischen Staat (IS) und ähnliche in Syrien agierende Terrororganisationen aus. „Damit verändern die SWP und Volker Perthes immerhin endgültig eine Position, die sie 2012 bezogen haben“, schätzte Nahost-Experte Ruf ein.

„Dass ein solcher Prozess nur im Rahmen der UN laufen kann, ist eine wichtige Einsicht und absolute Vorbedingung für ein Minimum an Erfolg.“

Der Krieg in Syrien scheint derzeit aus der medialen Aufmerksamkeit geraten zu sein. In den Mainstream-Medien wird kaum berichtet, was in dem Land vorgeht, seitdem im Dezember 2016 Ost-Aleppo endgültig befreit wurde. „Es ist leider eine Erfahrungstatsache, dass zu lange andauernde Ereignisse allmählich aus den Schlagzeilen verschwinden, es sei denn, aktuelle Geschehnisse toppen frühere oder andere“, kommentierte das Edlinger.

„Ähnliches ist derzeit mit der Rückeroberung von Mosul zu registrieren. Diese dauert den skandalgeilen Massenmedien einfach schon zu lange.“

Ob es sich um ein zeitweiliges Patt zwischen den Konfliktparteien handelt, sei schwer einzuschätzen. „Natürlich laufen viele Kontakte hinter den Kulissen, vor allem jene von Russland angestoßenen Versuche für eine Konfliktlösung“, meinte der Wiener Nahost-Spezialist.

„Keine baldige und dauerhafte Lösung“

„Für die Golfstaaten überlagert der aktuelle Konflikt zwischen Saudi-Arabien/VAE und Katar die Szene. Dieser Konflikt, der nicht zuletzt durch US-Präsident Donald Trump mit  ausgelöst worden ist, ist aber auch im Kontext des Syrienkonfliktes interessant: Er offenbart nämlich ganz deutlich, dass es Akteuren wie Saudi-Arabien tatsächlich weniger um Syrien – immerhin ein arabisches ‚Bruderland‘ – als um den Vormachtkampf gegen den Iran geht. Für Syrien unmittelbar, wo die militärische Auseinandersetzung ja schon fast entschieden schien, kann das aber durchaus eine Verschärfung bedeuten. Nicht zuletzt auch aufgrund der völligen Unberechenbarkeit der USA, der widersprüchlichen Zurückhaltung Europas und anderer Faktoren erwarte ich mir daher kurzfristig keine wesentlichen Initiativen in punkto Syrien.“

Edlinger befürchtet, dass es „keine baldige und vor allem keine dauerhafte Lösung“ geben wird, „da der Syrienkonflikt viel zu viele regionale Probleme mit betrifft“.

„So schrecklich das für die Betroffenen auch sein mag, so halte ich eine Entwicklung, die zwar die unmittelbaren kriegerischen Auseinandersetzungen weitgehend beendet, aber dann den Konflikt gewissermaßen ‚einfriert‘ und auf die lange Bank schiebt, für möglich.“

Er bezeichnete es als „wünschenswert“, wenn sich die  überregionalen Akteure auf eine „längere Übergangsfrist“ unter UN-Federführung einigen würden – „an deren Ende durchaus ein Ende der Baath-Herrschaft stehen könnte“. Aber:

„Der Übergang und ein gesellschaftlicher und politischer Wiederaufbau wird auf jeden Fall äußerst mühsam und langwierig.“

Fritz Edlinger hat 2016 das Buch „Der Nahe Osten brennt. Zwischen syrischem Bürgerkrieg und Weltkrieg“ im österreichischen Verlag Promedia herausgegeben. Von Werner Ruf erschien zuletzt zum Thema „Islamischer Staat & Co. Profit, Religion und globalisierter Terror“ im PapyRossa Verlag, das in Kürze in einer überarbeiteten Auflage neu veröffentlicht wird.