Deutsch-russische Suche nach Antworten auf soziale Fragen trotz politischer Störungen

Russland und Deutschland haben ähnliche soziale Probleme. Darüber sowie über mögliche Lösungen haben sich die Teilnehmenden des III. Deutsch-Russischen Sozialforums vom 17. bis 19. Mai ausgetauscht. Auf russischer Seite gibt es großes Interesse an deutschen Erfahrungen. Deutsche Teilnehmer haben sich vom russischen Engagement beeindruckt gezeigt.

Gerade angesichts des aktuell schwierigen Verhältnisses zwischen Deutschland und Russland sei es wichtig, weiter mit einander zu reden und zusammen zu arbeiten, so Ernst-Jörg von Studnitz, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau (1995-2002). Das gelte auch bei sozialen Themen. Von Studnitz eröffnete und begleitete als Schirmherr das III. Deutsch-Russische Sozialforum in Pskow vom 17. bis 19. Mai. Die Großstadt im Nordwesten Russlands sei ein „eindrucksvolles Beispiel für gelungene soziale Zusammenarbeit und soziale Arbeit in Russland“, sagte er im Gespräch und verwies auf das dortige Heilpädagogische Zentrum.

Das sei in den frühen 1990er Jahren in deutsch-russischer Zusammenarbeit entstanden. Das Zentrum für Behinderte und Schwerbehinderte sei eine „fabelhafte Einrichtung“. Sie gelte inzwischen in Russland als Referenzobjekt für die soziale Arbeit mit behinderten Menschen. Die mehr als 60 Teilnehmenden aus beiden Ländern am Sozialforum hätten am ersten Tag das Zentrum besucht, berichtete von Studnitz.

Das dreitägige Treffen unter dem Motto „Im Zentrum der Menschen“ hatte ein breites Themenspektrum, von Fragen der Integration und Inklusion Behinderter über Fragen des Lebens Älterer und der Situation von „Menschen in schweren Lebenslagen“ bis zur Zusammenarbeit mit Medien. Die etwa 45 Teilnehmenden und Beobachtenden aus Russland tauschten sich gemeinsam mit ihren 15 Partnern aus Deutschland über die Themen, Fragen und ihre Erfahrungen aus. Alfred Spieler war für den ostdeutschen Sozialverband Volkssolidarität in Pskow dabei. Der frühere soziapolitische Referent des Verbandes berichtete über das System der Alterssicherung und Altenhilfe in Deutschland und die entsprechenden Probleme.

Deutschland und Russland mit ähnlichen Problemen

Der Schwerpunkt des Treffens habe im Austausch zwischen den sozialen Nichtregierungsorganisationen beider Länder gelegen, berichtete Spieler gegenüber Sputnik. Aber auch politische Vertreter Russlands und Deutschlands hätten teilgenommen. Am zweiten und dritten Tag sei durch Vorträge zu sozialen Themen und Problemen aus den beiden Ländern ausführlich informiert und miteinander darüber diskutiert worden. Es habe von russischer Seite ein „bemerkenswert großes Interesse“ an den Erfahrungen aus Deutschland gegeben. Auch er zeigte sich beeindruckt von dem Besuch am ersten Tag im Heilpädagogischen Zentrum in Pskow.

In den drei Tagen des Treffens  sei deutlich geworden, dass Deutschland und Russland ähnliche Tendenzen und Probleme in der demografischen Entwicklung haben.

„Die Haupttendenz ist, dass der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung wächst. Und es wächst auch der Anteil pflegebedürftiger Menschen.“

In Russland gebe es etwas wie die deutsche Pflegeversicherung nicht, ebenso bisher keine gesetzlichen Regelungen für eine menschenwürdige Pflege Älterer. Daher sei das russische Interesse an dem deutschen Modell sehr groß. Spieler warnet aber davor, „einfach Erfahrungen zu kopieren“.

„Deutschland kann nur sehr begrenzt ein Vorbild sein, auch deshalb, weil Russland spezifische Bedingungen hat.“

Dabei spiele die Geografie eine wichtige Rolle: „eine relativ niedrige Bevölkerungsdichte in großen weiten Räumen mit riesigen Entfernungen auf der einen Seite und auf der anderen Seite große Metropolen mit einer hohen Bevölkerungskonzentration“.

Beide Länder stünden aber vor der Aufgabe, „lokale Ressourcen zu bündeln und staatliche Unterstützung für die Regionen und Kommunen zu sichern“. Ihm habe das große Engagement der russischen Teilnehmenden am Forum gezeigt, dass es für das Land in den nächsten Jahren möglich sei, viele der sozialen Probleme besser anzupacken. Spieler betonte das hohe fachliche Niveau in vielen Bereichen, das sich von dem in Deutschland kaum unterscheide.

Wertschätzung durch russische Politik

Die Präsidentin des Föderationsrates der Russischen Föderation, Walentina Matwijenko, hatte die Teilnehmenden am 17. Mai in Pskow begrüßt. Daran zeigte sich für Schirmherr von Studnitz, wie wichtig das Treffen für die russische Seite war. Matwijenko habe betont, wie wichtig das soziale Engagement für beide Seiten und das gegenseitige Verhältnis sei. Ihn habe auch das Schauspiel am Vorabend des Treffens beeindruckt, mit dem das zeitgleiche II. Internationale Festival „Andere Kunst“ von Behinderten für Behinderte eröffnet wurde. Der Ex-Botschafter erinnerte daran, dass der soziale Aspekt in der Verfassung Russlands festgeschrieben sei und sich dieses als Sozialstaat verstehe. Dafür seien die Ereignisse ein Beleg, die er zu seinen „großartigen Eindrücken“ dieser drei Tage zähle.

Das Deutsche-Russische Forum ist aus der Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“ des Petersburger Dialogs entstanden. Das erste Treffen von Sozialexperten beider Länder habe es 2010 in Moskau gegeben, berichtete von Studnitz. Das zweite Forum in Samara 2011 habe dem Ganzen eine Organisationsstruktur gegeben und ihn sowie den Ko-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, Michael Fedotow, Vorsitzender des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten, zu Schirmherren ernannt.

„Ich finde es außerordentlich wichtig, dass dieses Sozialforum stattgefunden hat, in einer Zeit, wo die großen politischen Beziehungen mit Schwierigkeiten belastet sind“, sagte der Ex-Botschafter. Er hob hervor, dass das zeige , dass trotz des schwierigen Verhältnisses auf der obersten Ebene es möglich sei, auf der Arbeitsebene und „in einem Bereich, wo es um die Menschen Im Einzelnen geht“, zusammenzuarbeiten  – „ohne jegliche Beeinflussung durch die Störungen auf der großen Ebene“.

Optimismus für die Zukunft

Anne Hofinga, beim Petersburger Dialog organisatorisch verantwortlich für das Sozialforum, erklärte gegenüber Sputnik, dass es „nur der russischen Seite zu verdanken“, sei, dass es das Treffen noch gibt. Für eine „starke Gruppe“ aus der deutschen Politik stünde nur die Frage der Menschenrechte und der entsprechenden Organisationen im Vordergrund. Deshalb sei die Zukunft des Forums innerhalb des Petersburger Dialogs eher unklar gewesen. Deshalb sei es wichtig, dass in Pskow „die Fäden wieder aufgenommen wurden“. Die russische Seite sehe dagegen „sehr wohl, welchen Nutzen wir als Sozialforum der Entwicklung von modernen Strukturen im sozialen Bereich in Russland bringen können“.

Von Studnitz schilderte, dass ihm das soziale Engagement seiner Frau in der Moskauer Zeit für soziale Fragen und Initiativen gezeigt habe, „welche große Wichtigkeit und Bedeutung und auch menschliche Relevanz das Sich-Einsetzen für sozial benachteiligte Menschen“ habe. Das sei sein Motiv, sich als Diplomat im Ruhestand im Rahmen des Petersburger Dialoges nun selbst zu engagieren. Die Ergebnisse aus Pskow würden in weitere Projekte eingehen, beschrieb er die Zukunft des Deutsch-Russischen Sozialforums. „Solange die Politik sich nicht in unsere Arbeit einmischt, wird das ganz gut weitergehen“, zeigte sich Organisatorin Hofinga optimistisch.

„In unserem Bereich gibt es eigentlich keine Differenzen. Es geht um Menschen, die in Russland und in Deutschland die gleichen Probleme im sozialen Bereich haben.“

Von Deutschland könnten weiter die Erfahrungen im Aufbau von Strukturen eingebracht werden, während für Hofinga die russische Seite die viel stärkere Kreativität bei der Suche nach Lösungen beisteuern könne. Das Sozialforum könne helfen, das deutsch-russische Verhältnis wieder zu verbessern:

„Probleme macht eigentlich nur die Politik. Wenn man sich darauf besinnt, was in diesen 25 Jahren gewachsen ist und was kulturell beide Länder schon über Jahrhunderte zusammenhält, dann wird es gar nicht so schwierig sein.“