Der neue französischen Präsident Emmanuel Macron wird die deutschen Erwartungen erfüllen. Das meint Politikexperte und Autor Andreas Wehr. Berlin freut sich über den neuen Hausherrn im Pariser Élysée-Palast wegen dessen schwächeren Forderungen im Vergleich zu seinen Vorgängern. Die deutsche Vorherrschaft in der Europäischen Union (EU) bleibt bestehen, erwartet Wehr.
Der frühzeitige Besuch des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag, kurz nach der Amtsübergabe, entspricht einer langjährigen Tradition und soll die deutsch-französische Gemeinsamkeit unterstreichen. Macron sei aber „sehr fixiert auf die Unterstützung aus Berlin“, verwies der Jurist und Autor Andreas Wehr auf einen Unterschied zu vorherigen Visiten dieser Art. Das habe sich schon daran gezeigt, dass der Präsident zuvor zweimal als Kandidat in Berlin gewesen war. Er habe die erwartete Unterstützung bekommen, „von beiden Seiten, von der CDU/CSU und von der SPD“. Macron habe bereits viele wichtige Posten „mit Leuten, die sehr gut Deutsch können“, besetzt. Das sei eine neue Tradition in der französischen Politik, für die die Beziehungen zu Berlin wachsende Bedeutung hätten.
Wehr hat unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke des Europäischen Parlaments in Brüssel gearbeitet. Aus seiner Sicht will Macron derjenige sein, „der endlich das ‚durchsetzt‘ in Frankreich, was die deutschen sogenannten Reformen, die Hartz-IV-Reformen und die ‚Agenda 2010‘ waren“. Das sei bereits von seinen Amtsvorgängern Nicolas Sarkozy und Francois Hollande erwartet worden. Dazu gehöre das Vorgehen gegen die Gewerkschaften und dass das von ihm als Wirtschaftsminister mit zu verantwortende Arbeitsgesetz voll durchgesetzt werde.
„Das heißt, ähnlich brutale soziale Maßnahmen wie sie in Deutschland unter Fischer und Schröder durchgezogen worden sind. Das sind auch die Erwartungen, die Berlin an Paris jetzt unter Macron hat.“
Berlin und Paris einig: Keine Solidarität mit anderen
Der Politikexperte erinnerte daran, dass angebliche Forderungen des neuen französischen Präsidenten wie die nach den sogenannten Eurobonds, die die Bundesregierung ablehnt, bereits abgeschwächt worden sind. „Das ist schon mal ein Zeichen, dass Frankreich eigentlich sehr wenig fordert.“ Die Anzeichen für gemeinsame Positionen von Berlin und Paris würden sich mehren. Das bedeute auch: „Keine Solidarität mit Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien.“ Einigung sei möglich bei Forderungen, die Berlin selbst bereits gestellt habe, wie eine gestärkte Euro-Zone samt einem EU-Finanzminister. Ergebnisse werde es aber erst nach den Bundestagswahlen am 24. September 2017 geben. Das seien keine gravierenden Veränderungen, sondern: „Das liegt alles im Trend der Forderungen, die insbesondere Wolfgang Schäuble und auch andere in den letzten Jahren schon erhoben haben.“ Bei anderen Vorstellungen Macrons wie der nach einer EU-weiten Arbeitslosenversicherung rechnet Wehr damit, dass diese „hinten runterfallen“, also nicht umgesetzt werden.
Der Autor erwartet, dass sich mit dem neuen französischen Präsidenten nichts grundlegend innerhalb der EU verändert, samt der deutschen Vorherrschaft und ihrer Folgen. Das liege unter anderem daran, „dass Macron schon deutlich schwächer antritt als seine Vorgänger Sarkozy und Hollande“. Beide hätten ebenfalls massive Forderungen an die Bundesrepublik gehabt. So habe Hollande zum Beispiel bei seinem Amtsantritt angekündigt, den Stabilitätspakt aufzukündigen, erinnerte Wehr, und das dann aber fallen lassen. Französische Versuche, den deutschen Leistungsbilanzüberschuss abzuschwächen, unter anderem von Christine Lagarde als Wirtschafts- und Finanzministerin unter Hollande, seien von Deutschland immer wieder abgeschmettert worden. Berlin habe gesagt, dass die Stärke der deutschen Wirtschaft nichts mit Politik zu tun habe. Die Bundesregierung könne ziemlich sicher sein, dass nun von Paris unter Macron kein weiterer Druck in diese Richtung aufgebaut werde – „insofern ist die französische Position jetzt sogar schwächer geworden“.
Deutsche Euphorie über gelehrigen Präsidenten Frankreichs
Für den Politikexperten ist deshalb die deutsche Begeisterung über den neuen Präsidenten im Élysée-Palast nicht verwunderlich. Er erwartet, dass sich Berlin und Paris darüber verständigen, dass in Frankreich wie in anderen EU-Ländern die deutschen „Reformen“ nachgeahmt werden. Macrons Vorstellungen von Veränderungen innerhalb der EU würden den deutschen entgegenkommen.
„Weil er Positionen übernommen hat, die in Deutschland schon seit Jahren vorgetragen worden sind, deswegen gibt es wahrscheinlich eine gewisse Euphorie.“
Die eigenständigen französischen Forderungen aus den letzten Jahren „sind tatschlich jetzt nicht mehr Gegenstand der Gespräche in Berlin“. „Das bin ich ziemlich sicher, dass davon nicht mehr allzu viel übrig geblieben ist“, betonte Wehr.
Er meinte, dass Macrons Schicksal in fünf Jahren, bei der nächsten Präsidentschaftswahl in Frankreich, davon abhänge, ob er mit seiner wirtschaftsfreundlichen und gewerkschaftsfeindlichen Politik erfolgreich sein wird.
„Dann wird er als der ‚Schröder‘ in die Geschichte Frankreichs eingehen. Aber das ist ungewiss. Da stehen viele Fragezeichen, weil die französische Wirtschaft in den letzten Jahren gegenüber der deutschen schwächer geworden ist. Da ist sehr fraglich, ob ein solches Kürzungsprogramm die gewünschten Effekte produziert. Wenn das nicht eintritt, wenn die hohe Arbeitslosigkeit, deutlich höher als in Deutschland, auch die Jugendarbeitslosigkeit, nicht reduziert wird, dann ist alles möglich in fünf Jahren. Dann kann es auch sein, dass Macron scheitert.“
Das sei „durchaus denkbar“, mit der Folge der Amtsübergabe 2022 an Marine le Pen.