Trauerspiel im Bundestag: Antrag für besseres deutsch-russisches Verhältnis abgelehnt

Die Bundesregierung und die sie stützenden Parteien tun nichts für ein besseres Klima zwischen Berlin und Moskau. Das beklagt die Fraktion der Linkspartei im Bundestag. Ihren Versuch, sich für wirklichen Dialog und die politische Lösung strittiger Fragen einzusetzen, haben die anderen Parteien kurz vor dem Merkel-Besuch in Russland abgeschmettert.

Ein Antrag der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke unter dem Titel „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ wurde am 27. April im fast leeren Bundestag von der anwesenden Mehrheit aus Union, SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Der anwesende Andrej Kosolapov, Oberbürgermeister der legendären Stadt Wolgograd, früher Stalingrad, musste mit ansehen und anhören, wie der Versuch der Linken, die anderen Parteien „für eine Wiederverbesserung des deutsch-russischen Verhältnisses” zu gewinnen, an deren Unwillen scheiterte.

Das machte gleich als erster Redner vor den Antragsstellern Gernot Erler von der SPD-Fraktion deutlich. Er ist Russland-Beauftragter der deutschen Bundesregierung und warf Moskau vor, für die von den Linken beklagte „Eiszeit“ in den deutsch-russischen Beziehungen verantwortlich zu sein. Der Westen habe sich immer „konstruktiv um ein gutes Verhältnis mit der russischen Föderation“, um Zusammenarbeit und den Weg bis hin zu einer strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland bemüht, behauptete Erler. Den Linken warf er vor, das auszublenden und dem Westen die Schuld für die neue Konfrontation geben.

„Das Problem ist nur“, sagte der Russland-Beauftragte im fast leeren Plenarsaal im Reichstagsgebäude, „bei den russischen politischen Eliten gibt es eine völlig andere Wahrnehmung und Darstellung dieser selben Politik“. Es sei „immer dieselbe Aufzählung“ von Ereignissen dafür, dass der Westen die Schwäche Russland seit dem Ende der Sowjetunion ausgenutzt habe, von der EU- und Nato-Osterweiterung über den Krieg im Kosovo und den gegen den Irak bis zu den „farbigen Revolutionen im Umfeld von Russland“. Letztere würden in Moskau „als Konstruktionen der amerikanischen Geheimdienste angesehen“. Das alles bezeichnete Erler als „völlig unvereinbare Wahrnehmungen von ein und derselben Politik, als unvereinbare Narrative bzw. Erzählungen“.

Die hätten „direkt zum Ukraine-Konflikt und zur Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen geführt“. Moskau habe die westliche Politik gegenüber der Ukraine 2013 und 2014  als russlandfeindlich und Bedrohung russischer Interessen missverstanden und deshalb „gravierende Regelverletzungen, wie sie die Annexion der Krim und der Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine darstellen“, begangen.

Erler: Linksfraktion übernimmt negative russische Sicht auf den Westen

Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung warf der russischen Führung kurz vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 2. Mai in Sotschi erneut vor, die europäische Friedensordnung beschädigt zu haben. Das wiederholten später Unionspolitiker und die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Marie-Luise Beck. Die redete ohne Beweise sogar von einer „Aggression im Donbass“, durch welche die Friedenordnung „in Frage gestellt, wenn nicht sogar zerstört“ worden sei. Aber das wisse sie noch nicht genau, gestand sie zumindest ein. Der Russland-Beauftragte Erler hatte zuvor erklärt, dass Deutschland weiter den „gleichberechtigten Dialog“ mit Moskau wolle, mit dem „europäischen Ziel, Russland zurückzubringen auf die Grundlagen der europäischen Friedensordnung“.

Das wolle die Linke nicht, warf er den Antragsstellern vor, die nur den Westen anklagen und damit „eins zu eins das negative russische Narrativ“ übernehmen würden. Für die Linksfraktion bedauerte Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke, dass die anderen Fraktionen keinerlei inhaltliche Vorschläge in die Debatte, die am 16. Februar das erste Mal zu dem Antrag geführt worden war, einbrachten. „Ihr schweigt Euch aus und setzt auf Sanktionen“, warf er den anderen Parteien vor. Es gebe „nicht zu viel Dialog, sondern zu wenig“, entgegnete Gehrcke deren Rednern, die eine Reihe von deutsch-russischen Gesprächsrunden auf unteren politischen Ebenen aufzählten. Für die Interessen der baltischen Staaten und Polens, auf die sich die Antragsgegner immer wieder beriefen, sei es doch förderlich, über Abrüstung mit Russland zu reden, statt die Bundeswehr an die russische Grenze zu schicken, erklärte der linke Außenpolitiker.

Beck ausfällig gegenüber Gehrcke und Hunko

Er widersprach auch den Behauptungen der bündnisgrünen Abgeordneten Beck, dass sich die russische Seite wie zum Beispiel die Duma den politischen Gesprächen verweigere. Gehrcke und sein Fraktionskollege Andrej Hunko erinnerten daran, dass die Regierungskoalition aus Union und SPD in den Bundestagsausschüssen sich weigere, die Duma-Abgeordneten nach Berlin einzuladen, was auch mit den Sanktionen begründet werde. Hunko verwies darauf, dass anders als von Beck behauptet, deutsche Parlamentarier immer wieder hochrangige Gespräche mit russischen Politikern führen konnten. Das beeindruckte die antirussisch eingestellte Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Wahrnehmung anscheinend wenig. Sie warf Gehrcke und Hunko stattdessen gar vor: „Wer wie Sie über dieses Moskau in den besetzten Donbass fährt, gerät in gefährliche Nähe zu Marine Le Pen und Frauke Petry.“

Dieser Ausfall Becks war nicht das einzige Abdriften der kurzen Debatte zum Antragen der Linken in Richtung Wahlkampf. Daran beteiligte sich unter anderem Florian Hahn aus der Fraktion von CDU/CSU. Der Versuch der Antragssteller, die politische Sprachlosigkeit im deutsch-russischen Verhältnis ein Stück zu überwinden, war erkennbar im deutlich unterbesetzten Plenarsaal des deutschen Bundestages nicht gewollt. Gehrcke forderte, mit Moskau über Interessen und deren Wahrnehmungen zu reden statt über Werte „zu schwafeln“, und berief sich dabei auf Willy Brandt, einen der Begründer der Ostpolitik im Kalten Krieg. Er zitierte außerdem den jüngst verstorbenen russischen Dichter Jewgenij Jewtuschenko und dessen berühmte Frage „Meinst Du die Russen wollen Krieg?“.

Dialog mit Moskau – wenn westliche Forderungen erfüllt werden

Die Menschen in beiden Ländern wollen keinen Krieg, so Gehrcke und ergänzte: „Ich will alles ausschalten, was möglicherweise bewusst oder unbewusst in eine Kriegssituation hineintreibt.“ Der linke Außenpolitiker forderte eine dementsprechende Politik und über mögliche Abrüstungsschritte bis hin zu einer atomwaffenfreien Zone in Europa zu reden. Er beklage das  vorherrschende Klima, „wo der andere verurteilt wird und nicht, wo über gemeinsame Lösungen nachgedacht wird“. Das gelte auch für den Versuch, die Ukraine-Frage zu lösen. Das ginge nur gemeinsam mit Russland: „Ich bin dafür, dass neues Vertrauen geschaffen wird, Vertrauen aufgebaut wird.“

Die nach ihm redeten, machten Gehrcke und dessen Fraktion vor allem Eines klar: Mit uns kein anderer Kurs gegenüber Russland, solange Moskau nicht die westlichen Forderungen erfüllt. Auch sie sprachen dauernd von Dialog, sahen aber wiederholt nur Russland für die gegenwärtige Konfrontation verantwortlich. Elisabeth Motschmann aus der Unionsfraktion machte gar ihrer bündnisgrünen Parlamentskollegin Beck alle Ehren und meinte, dass die antirussischen Sanktionen „zur Zeit das einzige Mittel, eine rote Linie gegenüber der Expansionspolitik Putins zu ziehen“. Moskau habe den „Schlüssel für die Beendigung selbst in der Hand“, behauptete die Abgeordnete.

Welche Eindrücke der Wolgograder Oberbürgermeister Kosolapov von dieser Debatte in seine Stadt mit ihrem Schicksal im Zweiten Weltkrieg mitnimmt, ist nicht bekannt. Ermutigende Zeichen für mehr Verständigung und tatsächlichen Dialog dürften es nicht gewesen sein, zumindest auf der hohen politischen Ebene. „Russland macht immer den ersten Schritt“ sagte er im Interview einen Tag zuvor auf die Frage, wer den ersten Schritt machen müsse, um das gegenwärtige schwierige Verhältnis zwischen Deutschland und Russland zu verbessern. Und er fügte hinzu: „Wir haben den bereits getan.“ Im Bundestag hat er miterlebt, wie das jenen nicht ausreicht, die diese Konfrontation weiter vorantreiben und mit dem wiederholten Hinweis auf die angebliche Schuld Moskaus nichts dafür tun, um sie zu beenden.