Experte: Russland versucht in Syrien zu stoppen, was westliche Politik anrichtet

Russland hat in Syrien dem Westen und seiner Regime Change-Politik  die Grenzen gezeigt. Nur deshalb wird verhandelt, stellt der frühere DDR-Diplomat Wolfgang Grabowski im Interview fest. Die jüngst von der EU wiederholte Forderung „Assad muss weg“ ist für ihn bereits gescheitert. Er kritisiert die westlichen Doppelstandards.

Herr Grabowski, Sie haben in der Zeitschrift „WeltTrends“ 2/2017 einen Beitrag zum Syrienkonflikt und Russland veröffentlicht. Wie lässt sich das Verhältnis Syrien und Russland einschätzen? Welche Interessen hat Russland dabei?

Das ist ein strategisches Interesse, das auf langjähriger Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und Syrien basierte. Mit Wladimir Putin ist dort eine erneute Verbesserung eingetreten. Russland hat vor allen Dingen Interesse daran, strategisch in dem Gebiet präsent zu sein, seine gewachsenen Möglichkeiten zum Einsatz zu bringen und natürlich auch dafür zu sorgen, dass kein weiterer Regime Change vollzogen wird. Ich würde auch sagen, dass man in Moskau natürlich nicht die IS-Kämpfer im Kaukasus haben möchte und deshalb dort gegen den IS konsequent vorgeht.

Es gibt kritische Stimmen, die sagen, Russland verhalte sich in dem Zusammenhang nicht anders als der Westen, der versucht, seine Interessen im Nahen Osten durchzusetzen mit Hilfe ihm genehmer Regime. Lässt sich das so Eins zu Eins vergleichen?

Das sind schon grundsätzlich andere Interessen, die dort meiner Sicht nach von Bedeutung sind. Das betrifft in erster Linie die Verteidigung gegen Terrorismus für das eigene Land, und die Absicherung von normalen Verhältnissen in dieser Region. Was Regime Change und Krieg dort bedeutet hat, durch den Westen geführt, ist allgemein bekannt. Das möchte man verhindern und einen Block dagegen setzen. Nicht zu übersehen ist, dass durch das Eingreifen Russlands erst Verhandlungen jetzt möglich wurden. General Kujat hat das treffend zum Ausdruck gebracht: Die Russen haben den Westen an den Verhandlungstisch gebombt. Da ist schon ein starker Unterschied.

Genau zu diesem Thema: Welche Rolle spielt Russland in dem Krieg in Syrien? Das ist ja auch zum Teil ein von außen gesteuerter Krieg gegen Syrien.

Russland war bemüht, diese Einmischung zurückzudrängen. Das ist auch gelungen. Der Westen muss sich darauf einstellen und nach dem Veto oder der Behinderung von den jahrelang gemachten Vorschlägen durch Russland und auch andere zu Dialog und Verhandlungen kommen. Diese Verhandlungen finden nun mit allem zögerlichen und auch Konter-Vorgehen statt.

Westen hat Verhandlungsvorschläge blockiert

Musste es also erst zu dem militärischen Eingreifen kommen, damit verhandelt wird?

Vier Jahre lang wurden die Vorschläge, die gemacht wurden, entweder zerredet oder ignoriert, nicht zur Kenntnis genommen. Das ging so nicht weiter. Der Krieg wurde weitergeführt. Das hat dann zu dieser Entscheidung geführt.

Russland hat in dem Konflikt immer wieder auf die Rolle des Völkerrechts hingewiesen. Wie schätzen Sie das ein? In Ihrem Beitrag haben Sie geschrieben, dass russische Vorgehen sei anders als das westliche gegen den IS in Irak und Syrien völkerrechtlich legitimiert.

Das würde ich nochmal unterstreichen. Russland ist zum Eingreifen von Assad eingeladen worden, also von der legitimen Regierung, und ist damit völkerrechtlich gedeckt.

Wie schätzen Sie die Rolle des Völkerrechts insgesamt in diesem Konflikt ein? Moskau sagt ja immer wieder, es gehe auch um völkerrechtliche Normen wie die Achtung der nationalen Souveränität.

Das sind wichtige Positionen, die Russland immer wieder, auch in der UNO und in den Verhandlungen jetzt, vorbringt. Das sind grundsätzliche Positionen Russlands. Man ist bemüht, dem auch wieder zum Durchbruch zu verhelfen.

Westliche Doppelstandards sind scheinheilig

In der Darstellung der Vorgänge in Syrien, auch im Krieg gegen den IS auf dem Gebiet des Irak und in Syrien, wird immer wieder verglichen zwischen Aleppo und Mossul als prägnanten Beispielen. In Aleppo soll gar „Völkermord“ stattgefunden haben. Dort soll angeblich die syrische Armee zusammen mit der russischen Unterstützung absichtlich die Zivilbevölkerung bombardiert haben, während in Mossul eine „Schlacht für die Freiheit“ gefochten wird wie es zum Teil Medien darstellten. Wie lässt sich diese unterschiedliche Darstellung bewerten?

Es sind zwei Standards, die immer wieder auch vom Westen in die internationale Politik eingebracht werden. Natürlich bin ich als Linker gegen jeden Krieg und dagegen, dass bombardiert wird. Nur, wenn wie in Aleppo geschehen – und ganz offensichtlich auch in Mossul  –, die Terroristen sich in den Wohngebieten der Zivilbevölkerung einnisten, und in den entsprechenden Schulen, Krankenhäusern undsoweiter, da ist die Frage berechtigt: Wie soll man das bekämpfen? Die einzige Kraft am Boden war die syrische Armee. Insofern sind schon Unterschiede da. Der eine macht das, und jener macht das, und man versucht das gleichzustellen. Der Unterschied ist nur, dass diese sogenannte Internationale Koalition dort tätig ist ohne entsprechendes Mandat, ohne gerufen zu sein.

So dass Sie dem Vorwurf, in Aleppo sei „barbarisch“ vorgegangen worden, während in Mossul „zivilisiert“ und „demokratisch“ vorgegangen wird, widersprechen würden?

Ja, sicher. Das ist eine scheinheilige Behauptung, die so nicht zutrifft. Und von den US-Amerikanern bei all ihren Aktionen im Irak, in Afghanistan ja ad absurdum geführt.

Nun gibt es derzeit verschiedene Bemühungen einer politischen Lösung des Kriegs in Syrien, so in Genf zwischen der syrischen Regierung und den verschiedenen sogenannten Rebellen-gruppen, zuvor der Prozess von Astana, angeregt unter anderem durch Russland. Die EU will in Brüssel eine Konferenz abhalten und sagt aber gleichzeitig: Politische Lösung – aber ohne Assad! Wie sind diese aktuellen Bemühungen aus Ihrer Sicht einzuschätzen?

Sie werden sehr schwierig laufen. Diese Forderung „Assad muss weg und dann wird verhandelt!“, die war ja schon vorher gescheitert. Dass sie erneut vorgebracht wird, zeigt, wie schwierig die Auseinandersetzung wird. Ich glaube schon, dass die Gruppe, die in Astana verhandelt hat, das nicht als verhandlungsfähig charakterisieren wird.

Wie sehen die aktuellen Aussichten einer politischen Lösung aus?

Es gibt keine andere Lösung. Also muss man weiter verhandeln, immer weiter, viel Geduld aufbringen und die Lage so gestalten, dass Interessenübereinkünfte über lange Zeiträume möglich werden.

Es gibt aktuelle Meldungen eines vermeintlichen Giftgasangriffes bei Idlib. Zu beobachten ist, dass oftmals im Vorfeld, im Zusammenhang mit Verhandlungen zwischen den Konfliktbeteiligten solche Massaker-Meldungen auftauchen. Wird da bewusst versucht zu verhindern, dass es irgendeine Verhandlungslösung gibt?

Es wird nicht der letzte Versuch sein, Derartiges zu tun. Das hat sich ja gerade in der ganzen langen Kriegsführung in Syrien und auch in anderen Ländern des Nahen Ostens gezeigt, dass immer wenn sozusagen ein Lichtschein am Horizont erscheint, versucht wird, zu blockieren und provoziert wird. Das Giftgas-Gerede des Westens ist nicht zutreffend und blockiert nur.

Botschafter a.D. Wolfgang Grabowski war als DDR-Diplomat u.a. in der Sowjetunion und Syrien tätig. In den 2000er Jahren leitete er lange Zeit das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau. Die Zeitschrift „WeltTrends“ online: http://welttrends.de/