Exportweltmeister mit Rekord-Armut: Berlin und Bremen am ärmsten dran – Bericht

Mehr als zwölf Millionen Menschen in Deutschland leben in Armut. Das sagt der am 2. März in Berlin vorgestellte Armutsbericht 2017 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. „Dies markiert einen neuen Höchststand im vereinten Deutschland“, so die Autoren. Verbandsgeschäftsführer Ulrich Schneider erwartet einen „Gerechtigkeits-Wahlkampf“ in diesem Jahr.

Der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes widerspricht den Erfolgsmeldungen über die Leistungskraft der deutschen Wirtschaft. Er widerlegt auch den Stolz von Bundeskanzlerin Angela Merkel darüber, dass die Arbeitslosigkeit seit ihrem Amtsantritt 2005 um die Hälfte gesunken ist. Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, kritisiert diese Erfolgspropaganda der Regierung „Die wirtschaftliche Entwicklung führt nicht zu einem Sinken der Armut.“ Er stellte auf einer Pressekonferenz den Bericht gemeinsam mit Vertretern anderer sozialer Organisationen vor. „Trotz Rekordergebnissen der Wirtschaft sind immer mehr Menschen davon abgekoppelt“, so Verbandsgeschäftsführer Ulrich Schneider mit Blick auf die aktuellen Zahlen. Das geht so weiter, ist er sich sicher. Der Bericht ist ein Beleg dafür, dass zunehmende Beschäftigungszahlen allein noch nicht für eine bessere soziale Lage sorgen, wie die Autoren schreiben.

Bremen hat anteilig die meisten armen Bewohner. „Jeder Vierte muss dort mittlerweile zu den Armen gezählt werden“, heißt es im Bericht. Die Hauptstadt Berlin hat danach die zweitschlechtesten Zahlen mit mehr als 22 Prozent Anteil von Armen an der Bevölkerung. Die Armutsquote ist hier laut Schneider „um fast 14 Prozent höher als zehn Jahre zuvor“. Am stärksten sei aber die Zahl der Armen in Nordrhein-Westfalen gestiegen. Das liegt vor allem am Ruhrgebiet, dem größten Ballungsraum Deutschlands mit über fünf Millionen Menschen. Wäre die einstige Industrie- und Bergbauregion „ein eigenes Bundesland, läge es an viertletzter Stelle, zwischen Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.“ Die ostdeutschen Bundesländer liegen in der Rangleiste weiter hinten. Am besten kommen im Bericht Bayern und Baden-Württemberg mit Armutsquoten von jeweils fast zwölf Prozent weg.

Als arm gilt, wer nur 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland oder noch weniger hat. Diese Grenze liegt aktuell bei 917 Euro netto für eine Person. Schneider verteidigte dieses Kriterium gegen Kritik, die immer wieder auch von Sozialorganisationen laut wird. Maßgebliche Forschungsinstitute, das Statistische Bundesamt und auch die Bundesregierung halten ebenfalls an dieser Berechnung von Armut fest. Die trifft zum Beispiel jeden vierten jungen Menschen bis 25 Jahre in Deutschland. Das betonte Cordula Lasner-Tietze vom Deutschen Kinderschutzbund auf der Pressekonferenz. „Armut wächst sich nicht aus“ und setze sich bis ins Rentenalter fort. Gerade immer mehr ältere Menschen in Deutschland gelten in wachsender Zahl als arm.

Zunehmende Altersarmut

Der Bericht weist daraufhin, dass der Anteil armer Älterer ab 65 Jahre „drastisch gestiegen“ ist – von 10,7 Prozent 2005 auf 15,9 Prozent zehn Jahre später. Er liegt damit bereits im zweiten Jahr über dem Bundesdurchschnitt von 15,7 Prozent. Dieser Trend wird sich nicht verbessern, widersprach Schneider Versuchen, Altersarmut in Deutschland klein zu reden. Verbände wie der ostdeutsche Sozialverband Volkssolidarität, der den Armutsbericht mitherausgegeben hat, haben seit Jahren vor dieser Entwicklung gewarnt. Die Altersarmut verweist aus Sicht von Verbandspräsident Wolfram Friedersdorff „deutlich darauf, welche Wirkungen gerade die Agenda 2010“ auf das Leben der Menschen hatte und hat. Das wird sich fortsetzen und die Altersarmut weiter steigen, warnte er und kritisierte die „Realitätsverweigerung der Politik“ angesichts der Lage. Für ihn geht zum Beispiel das Rentenkonzept von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles „an der Lebenswirklichkeit vorbei“.

Verbandschef Friedersdorff fordert wie die anderen am Armutsbericht beteiligten Organisationen eine breite „Initiative gegen Armut“. Er erwartet von der jetzigen und der nächsten Bundesregierung, „dass die Realitäten besser zur Kenntnis genommen werden“. Die soziale Gerechtigkeit im Bundestagswahlkampf wird in diesem Jahr eine große Rolle spielen, glaubt Geschäftsführer Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Er widersprach auf Sputniknews-Nachfrage aktuellen Umfragen wie der vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das hat am Vortag behauptet, dass für die Deutschen in diesem Jahr als Politikziel zum Beispiel der Erhalt der Demokratie und die Kriminalität zu bekämpfen wichtiger ist als die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen zu verringern. Das Thema Armut taucht bei solchen Umfragen nicht auf.

Schneider setzt dagegen darauf, dass es 2017 einen „Gerechtigkeits-Wahlkampf“ geben wird. Das zeigt sich für ihn an den ersten Äußerungen des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Die deutsche Politik hat für den Verbandsgeschäftsführer aus den Wahlen in den USA gelernt, wo das Thema soziale Ungerechtigkeit eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Folgen wie die Wahl von Donald Trump haben die Politik hierzulande aufgeschreckt.

Der Armutsbericht online hier