Tagung zur Rolle von Wissen und Information im digitalen Zeitalter
Noch in diesem Jahr soll – ausgehend von der EU-Richtlinie 2001/29/EG – das Urheberrecht geändert werden. Am Donnerstag wird der Bundestag den Regierungsentwurf dazu in 1.Lesung beraten. Fachleute warnen vor der Beschneidung privater Nutzungsrechte.
In der digitalen Welt versinke das Eigentum in die Bedeutungslosigkeit. Das behauptete vor einiger Zeit der US-amerikanische Autor Jeremy Rifkin, nachdem er zuvor das »Ende der Arbeit« verkündet hatte. Wichtiger werde in den Zeiten von Bites und Bytes statt zu besitzen der Zugriff (Access) auf Wissen und Information. Doch die Realität hält sich ein weiteres Mal nicht an solche Vorhersagen.
In der digitalen Welt wird gegenwärtig vielmehr versucht, die bisher öffentlichen Güter Wissen und Information dem Eigentum unterzuordnen. Denn es geht um nicht weniger und nicht mehr als um das Grundprinzip realer Wirtschaft, den Profit. Darauf machte am Freitag eine internationale Tagung der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin aufmerksam. Sie beschäftigte sich mit der Zukunft des geistigen Eigentums in der Wissensgesellschaft. Wissen und Information sollen allein aus ökonomischen Gründen künstlich verknappt werden, beschrieb Reinhard Kuhlen von der Deutschen UNESCO-Kommission die Lage. Mit Recht und Technik werde abgestrebt, den freien Zugriff unter Kontrolle zu bringen.
Mehrfach benannten Teilnehmer aus Europa und den USA, wie große Konzerne, so IBM und Microsoft, dabei mit Hilfe des Patent- und Urheberrechts vorgehen. Durch Zugangsrechte und -techniken werde versucht, das geistige Eigentum privat zu regulieren. Das werde unterstützt von den nationalen Gesetzgebern und unter anderem von der EU.
Damit kann vor allem das Recht auf private Kopien einschneidend beschränkt werden. Das betreffe nicht nur Privatpersonen, die zu Hause Musik und Filme aus dem Internet laden oder eigene CD brennen. Bibliotheken und Schulen könnten ihrer öffentlichen Aufgabe, Wissen und Information unbeschränkt und kostengünstig zur Verfügung zu stellen, nicht mehr gerecht werden, warnen Kritiker. Darauf machte auf der Tagung der Böll-Stiftung unter anderem Annette Mühlberg vom ver.di-Bundesvorstand aufmerksam.
Zuvor hatte Brian Kahin von der University of Maryland in den USA klargestellt, dass Wissen und Information keine Güter im wirtschaftliche Sinne und deshalb »so wertvoll« sind. Der Spezialist für Urheberrecht arbeitete zeitweise in der Clinton-Administration an Fragen der Patente im Biotechnologie- und Software-Bereich. Kahin bezeichnete die Diskussionen um das geistige Eigentum als »oft oberflächlich und irreführend«.
Es geht um hohe Gewinne: IBM zum Beispiel hat nach Kahins Angaben im Jahr 2000 1,7 Milliarden Dollar allein durch Lizenzeinnahmen verdient. Zugleich sorgten die Konzerne über starke Lobbys dafür, dass ihre Interessen gesetzlich verankert werden. In der Öffentlichkeit werde das mit dem Piraterie-Vorwurf gegenüber denjenigen durchgesetzt, die sich das Recht auf freie Kopie nehmen. Die Rechte der Nutzer und der freie Zugang zu Wissen und Information würden so diskreditiert und kriminalisiert.
Martin Kretschmer von der britischen Bournemouth University kritisierte ebenfalls, dass die Interessen der Nutzer von PC und Internet in der Debatte kaum eine Rolle spielten. Exklusive Verbreitungsrechte sicherten nur den Investoren und Produzenten den Rücklauf ihrer Kosten. »Nur sehr wenige bekommen sehr viel«, wies Kretschmer anhand eigener Untersuchungen nach. So könnten in der Bundesrepublik nur etwa 1500 Menschen von den Einnahmen aus ihrer kreativen Arbeit leben. Ende der 90er Jahre hätten fünf Prozent der künstlerisch Tätigen 60 Prozent der Gewinne aus dem Vertrieb der Werke erzielt.
Kretschmer sprach sich wie die Mehrzahl der anderen Tagungsteilnehmer dagegen aus, das Internet und die digitale Welt durch verschärfte Urheber- und Patentrechte zu einem von Wirtschaft und Politik kontrollierten geschlossenen System zu machen. Vor den Folgen warnt die deutsche Initiative »Rettet die Privatkopie!«, die in der Böll-Stiftung vorgestellt wurde. Das durch die EU-Vorgaben geänderte Urheberrecht gefährde die Freiheit der Bürger, Kopien für den privaten Gebrauch anzufertigen, heißt es in der Resolution der Initiative (www.privatkopie.net). Setzten sich allein die Interessen der Verwertungsindustrie durch, werde das im Grundgesetz verankerte Grundrecht der Informationsfreiheit gefährdet.
veröffentlicht in „Neues Deutschland“ am 11.11.2002