Sigmund Jähn: Flug zum Mars als kulturelle Aufgabe

Ein Gespräch mit dem DDR-Fliegerkosmonauten Sigmund Jähn

Fast zwanzig Jahre später: Erneutes Interview mit Sigmund Jähn im April 2017

Sie waren 1978 im All. Sie waren später an der DDR- Raumfahrtforschung beteiligt. Was machen Sie heute?

Ich habe einen Vertrag mit dem Deutschen Raumfahrtzentrum Köln und mit der ESA, der europäischen Weltraumagentur, und im Sternenstädtchen, im russischen Kosmonauten-Ausbildungszentrum Koordinationsaufgaben zu erfüllen. Ich habe sehr viel tun können bei der Ausbildung der deutschen und der ESA-Kosmonauten, zum Beispiel bei Ulf Merbold, Thomas Reiter, Reinhold Ewald. Das ist nicht nur interessant und schön, daß ich noch was machen kann. Das ist auch eine Frage der materiellen Absicherung.

Welche konkreten Aufgaben haben Sie dort?

Es geht um die wissenschaftliche Vorbereitung und die Experimente. Sie sind vereinbart mit der russischen Seite. Da müssen Ausbilder oder die Experimentatoren aus Europa kommen, um die gesamte Besatzung auszubilden, auch die russischen Kosmonauten. Da ist eine Reihe an Abstimmungsaufgaben zu klären, von der Einbeziehung der russischen Spezialisten bis hin zur Unterbringung und der Dolmetscherei. Alles Dinge, die wir früher als Sicherstellung bezeichnet haben. Ich kann auch eigene Erfahrungen einbringen. Es wird akzeptiert und anerkannt.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem Raumflugpartner Waleri Bykowski und zur Stamm-Mannschaft Wladimir Kowaljonok und Alexander Iwantschenkow?

Natürlich, besten Kontakt. Waleri Bykowski ist nicht mehr aktiv. Er hat sich zurückgezogen. Er ist noch ein paar Jahre älter als ich. Es ist auch nicht mehr so, daß ich noch Bäume ausreiße.

Raumfahrt gibt es nun seit 40 Jahren. Ihr Raumflug ist fast 20 Jahre her. Wie sehen Sie die Entwicklung der Raumfahrt heute?

Man muß immer unterscheiden zwischen bemannter und unbemannter Raumfahrt. Die Diskussion in Deutschland über Sinn und Nutzen der Raumfahrt bezieht sich nur auf ihren bemannten Teil. Niemand will heute die ganze Raumfahrt abschaffen. Ohne Satelliten kein Telefon, kein Fernsehen, kein Schiffsverkehr und so weiter. Da gibt es auch kommerziellen Nutzen und Gewinn. Aber bemannte Raumfahrt sehe ich heute als eine kulturelle Aufgabe. Ich verbreite heute nicht mehr wie früher, weil ich es geglaubt habe, daß die bemannte Raumfahrt Nutzen bringt. Diese Riesenstation im Orbit, da muß man Ideen und Geld investieren, was nicht heute zurückkommt. Das kommt mal in 100 Jahren oder später zurück.

Bleiben die Visionen von Fabriken im All, die Dinge herstellen, die unter irdischen Verhältnissen nicht möglich sind, Materiallegierungen, Medikamente und ähnliches, nur Visionen?

Da gibt es schon nutzbringende Ergebnisse. Aber beispielsweise bei den Materialwissenschaften gab es Ergebnisse, die eindeutig gesagt haben, es bringt nichts. Das ist auch wichtig. Nach mathematischen Berechnungen wäre etwas herausgekommen. Aber bei den praktischen Ergebnissen gibt es zuviele Störgrößen. Das dauert alles sehr lange. Das haben wir selbst erlebt in den letzten Jahren. Ich will nicht sagen, daß das nichts bringt. Aber die Euphorie, die wir berechtigt hatten, die ist doch gedämpft.

Zurück zum Thema Geschichte der Raumfahrt und zum Motto »Raumfahrt zum Nutzen der Menschheit«. Es gibt ein ganz neues Buch über die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei, wo es um die Forschungen der Nationalsozialisten in Deutschland geht. Die Ergebnisse von Wernher von Braun sind nicht nur in den USA genutzt worden, sie sind auch in der Sowjetunion eingeflossen in die technischen Entwicklungen. Wie würden Sie diesen Teil der Vergangenheit der Raumfahrt neben den friedlichen Visionen eines Konstantin Ziolkowski, neben rein zivilen Projekten, Ideen, Visionen, beurteilen? Spielt der militärische Aspekt heute noch eine Rolle?

Ich habe in diesen Tagen gelesen, daß die Amerikaner wieder so eine Art Star-Wars-Geschichte gestartet haben. Geschichtlich betrachtet: Es gab keinen Sputnik ohne eine starke ballistische Rakete. Zuerst war die ballistische Rakete da und dann wurde der Sputnik draufgesetzt. Wernher von Braun hatte sicher auch Träume. Man sagt, auch er wollte auf den Mond. Er hat dann später auch daran mitgearbeitet. Aber für ihn gab es damals – da kann man denken wie man will – nur eine Möglichkeit: Entweder ich mache das oder ich muß es sein lassen. Es war aber nur zu machen in der damaligen geschichtlichen Situation im faschistischen Deutschland, für das Militär. Damit läßt sich sagen, daß sie sowohl schuldig waren an der Ausbeutung von KZ-Häftlingen für den Bau der Raketen und die Folgen des Einsatzes der Aggregate, aber auch, daß sie die technischen Entwicklungen vorangebracht haben. Die Männer von Peenemünde sagen, eigentlich haben wir den Raum zum ersten Mal angekratzt. Sputnik hat die Erde dann zum ersten Mal umrundet. Das ist das alte Thema mit dem sogenannten Fortschritt über die Station Militärtechnik.

Hat nach Ende des Kalten Krieges der friedliche Nutzen in der Raumfahrt gesiegt?

Es gibt einen guten Ansatz. Es gibt den Ansatz, daß die Maschine Shuttle und die Maschine Mir zusammenarbeiten. Und daß die Personen, die diese Zusammenarbeit technisch verwirklichen, sich auch menschlich näherkommen. Das gab es auch schon mal 1975 zwischen der UdSSR und den USA, beim Unternehmen Sojus-Apollo. Ich sage heute: Ich hätte zum Beispiel den Thomas Reiter, Flieger der Bundeswehr, mit einer Mig-21 vom Himmel holen können. Gott sei Dank haben wir es nicht im Auftrage irgendwelcher Planer in Moskau und in Washington machen müssen. Insofern ist der Ansatz gut, daß Shuttle und Mir etwas Gemeinsames machen, auch die entsprechenden Menschen. Das finde ich positiv. Was die Geschichte mal wirklich bringt, das sollen unsere Enkel entscheiden.

Noch eine Frage in Richtung Zeit unserer Enkel. Sehen Sie den Mensch auf dem Mars landen? Reinhold Ewald und Alexander Lasutkin deuteten im Gespräch an, es gebe Pläne für eine bemannte Mars-Mission. Experten sagen, Shuttle und Alpha sind Vorbereitungen dafür, wie auch die Langzeitflüge auf Mir.

Das ist reell. Es ist bloß wieder so, daß da kein Nutzen kommt. Man darf nicht erwarten, daß da etwas Wichtiges mitgebracht wird. Als kulturelle Aufgabe werden die Menschen diesen Weg gehen.

Es gibt Vorstellungen, daß die Menschheit das Weltall besiedelt, um vor den Problemen auf der Erde, vor dem, was die Menschheit auf der Erde angestellt hat, zu flüchten.

Das ist eine völlig verquere Denkart. Wenn man so primitiv denkt, wie es teilweise in Science-Fiction-Darstellungen geschieht, dann läßt sich wirklich sagen, daß die Menschheit nichts wert ist. Denn erst die arme Erde kaputtzumachen und dann was Neues zu finden, das ist eine Horrorvision und außerdem nicht realisierbar. Milliarden Menschen auszusiedeln, das ist Nonsens. Wenn man schon überleben will und auch ordentlich und sinnvoll Raumfahrt betreiben will, müßte man die Erde überlebensfähig machen und dann als Menschheit in den Raum gehen. Nicht sich gegenseitig bekriegen und beschießen mit irgendwelchen weltallgestützten Laserwaffen, sondern den Mars als eine humane Aufgabe anfliegen. Mal schauen, wie es dort aussieht, vielleicht auch weiterforschen, aber nicht die Russen gegen die Amerikaner, die Amerikaner gegen die Russen im Wettlauf, sondern gemeinsam. Das würde ich als human, als kulturelle Aufgabe betrachten.

Zuerst veröffentlicht am 16. Oktober 1997 in der Tageszeitung „junge Welt“